Wenn Omi wieder nach der Liebe sucht

Verlieben, das kann man sich auch noch im hohen Alter. Es ist eine andere Art von Liebe, vielleicht eine ehrlichere und sorglosere. Hilde, Werner, Maria und Heinrich sind in ihren 70ern und 80ern und wild entschlossen, nicht einsam zu sein und einen neuen Partner zu finden – auch wenn der körperliche Zenit überschritten ist.

Von Yvonne Widler

Symbolbild Foto: istock/Fred Froese/Getty

Was für die meisten einfach eine Autobahn-Raststation ist, kann für Hilde An- fang oder Ende einer Liebesgeschichte sein. Denn hier beim Rosenberger - St. Pölten „setzt sie sich gerne mit Herren z’am“, wie sie es nennt. Der neutrale Bo- den sei „sehr angenehm für erste Dates“. Wenn die 72-jährige Mostviertlerin über ihre „Herren“ spricht, dann verwendet sie Begriffe wie chatten, whatsap- pen und matchen. Emojis sind und bleiben bei ihr allerdings „die klanan liabn Figurn“. Einmal hat sie eines mit „Herzerln in den Augn“ verschickt. Noch heute wird sie rot im Gesicht, wenn sie davon erzählt.

Z’amgsetzt hat Hilde sich in den letzten sieben Jahren mit mindestens 40 Her- ren. Ihre Enkelin sagt zu ihr „Dating-Omi“. Für etwas wirklich Ernstes war kei- ner dabei. Zu erzählen hat die aufgeweckte Pensionistin dennoch genügend: Lustiges, Schockierendes und Trauriges. „So viele Schicksale, die ich kennenge- lernt habe.“

Hansi war die große Liebe

Wunderschöne Jahre hatte Hilde mit ihrem Hansi. „Mit dem Wohnwagen sind wir durch ganz Europa gefahren, es war die beste Zeit.“ Hansi war Hildes zwei- ter Ehemann. Zwischen den beiden hat es auf Anhieb gepasst, obwohl es An- fangsschwierigkeiten gab. „Hansi war noch verheiratet als wir uns kennenge- lernt haben, zwar unglücklich, aber leicht war das dennoch nicht.“ Erst nach drei Jahren beginnt das gemeinsame Glück von Hansi und Hilde: Als er am Sil- vesterabend vor ihrer Türe steht. „Ab da waren wir 15 Jahre zusammen.“ Zu Hil- des 60er haben sie geheiratet und es zuvor niemandem erzählt. „Die Familie wurde am selben Tag mit der Neuigkeit überrascht. Alle haben sich wahnsinnig gefreut für uns.“

Vor acht Jahren ist Hansi überraschend gestorben. Von einen Tag auf den an- deren war Hilde ohne Ehemann. Die große Familie hat ihr durch die schwere Zeit geholfen. Nach einem Jahr beschließt Hilde, dass sie nicht mehr einsam sein möchte. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich sitze nicht nur zuhause, ich unternehme viel. Aber die Wahrheit ist, dass ich alles, was ich tue, lieber mit einem Partner tun würde.“

„Witwe möchte netten Partner kennenlernen“

Ein Jahr nach Hansis Tod gibt Hilde ihre erste Kontaktanzeige in einer Tageszei- tung auf. „Witwe möchte netten Partner kennenlernen“, schreibt sie. Hilde mag das Wort „suchen“ nämlich gar nicht, wie sie mehrmals betont. „Suchen tu ich meine Brillen, ned an Mann“, erklärt sie bestimmt.

Nach einer Woche kommen einige Zuschriften. „Da kristallisiert sich sehr schnell heraus, mit wem man sich trifft und mit wem nicht.“ Die Art und Weise, wie ein „Herr“ schreibt, ist Hilde besonders wichtig: Die Formulierung, die Höflichkeit, die Rechtschreibung. Hilde braucht keinen Superintelligenten, aber einen mit Hausverstand. Einer wie Hansi, das wäre schön. Nicht gleich, aber ähnlich. Hilde will einen Mann, der auch gerne wandert, Rad fährt und dem seine Familie wich- tig ist und der sich um sie kümmert. Hilde ist es wichtig, dass ihr Partner sehr ge- pflegt ist, sich gut ausdrückt, auf sich schaut und die Welt ähnlich sieht wie sie. Hilde steht auf bärtige Männer, aber George Clooney braucht sie keinen.

Der erste Mann, den Hilde nach Hansis Tod trifft, ist der gleichaltrige Karl. Karl vom Schneeberg. „Ein netter Herr, ein feiner Mensch“, schwärmt sie heute noch. Doch es sollte bei einem langen Spaziergang und guten Gesprächen bleiben. Die räumliche Distanz ist für Hilde ein Problem. „Vielleicht ist das möglich und man fängt auch im Alter nochmal woanders von vorne an, aber ich finde das schwie- rig.“ Das Eis für weitere Dates ist nach Karl gebrochen, die Angst vor Fremden etwas beiseite geräumt und die Hoffnung macht Lust auf weitere Herren. Hildes Kinder schenken ihr ein Tablet und helfen ihr bei der Anmeldung auf der Da- ting-Plattform Parship. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hilde noch keine Berüh- rungspunkte mit dem Internet. Sie lernt sich das Wichtigste rasch selbst.

Hilde in der Raststätte St. Pölten (Foto: KURIER)

Hildes Herren-Geschichten

Die Geschichten, die Hilde anschlie- ßend über all die anderen „Herren“ erzählt, könnte genauso gut eine Frau in den Dreißigern erzählen. Hilde sagt, ihr Fehler sei es, anfangs zu schnell euphorisch zu sein und schildert eini- ge ihrer Männerepisoden der letzten Jahre.

Da war beispielweise der Herr von der Online-Plattform 50plus. Viel hat ge- passt, sie mochten die gleichen Dinge: Skifahren und Wandern. Er hatte so- gar ein Wohnmobil. Aber trotz glei- cher Hobbies hat das Gefühl gefehlt. „Außerdem war der ein fürchterlicher Pedant und hat mir Putz-Tipps gege- ben“, erzählt Hilde.

Hilde in der Raststation St. Pölten (Foto: KURIER)

Mit einem Mann  war sie zwei Wochen in Italien auf Urlaub. Spontan ist sie als Begleiterin eingesprungen. „Ma soll es ned für möglich halt‘n, aber man kann zwei Woch‘n im selben Zimmer sein, ohne dass irgendeine Form von G‘fühl auf- kommt“, sagt Hilde und lacht laut. Einige der Männer hätten am Profilfoto kom- plett anders ausgesehen als in Realität, weil das Foto aus jüngeren Jahren war. Andere hätten schon im Gespräch begonnen zu klammern, um dann bei der Verabschiedung zu Hilde zu sagen, sie fehle ihnen jetzt schon auf unerträgliche Weise.

Einige waren sehr „verlebt“, wie Hilde es beschreibt, schlechte Zähne oder auch jahrzehntelanger Alkoholkonsum, der seine Spuren hinterlassen hat. Einer, der hätte einfach nicht aufgehört zu reden, aber bei seinen SMS-Nachrichten, da hat er Hilde immer zum Schmunzeln und Rotwerden gebracht. „Das Schreiben war halt netter als das persönliche Gespräch mit ihm“, sagt Hilde. Es hätte eini- ge wenige gegeben, die nur jemanden fürs Bett suchen. Aber das sei nichts für Hilde. Die meisten Männer in dem Alter – und darauf müsse man sich nun mal einstellen als Frau – hätten ohnehin Erektions- und Prostataprobleme. Viele könnten schwer damit umgehen, die Tatsache nur langsam akzeptieren.

Wenn Hilde von dem erzählt, was die jüngere Generation wohl als Sexting bezeichnet, dann spricht sie von „in Herzlichkeit ausgeartetem Schreiben“ und schießt nach: „Aber ned unguat oder so.“ Sie wird rot und grinst. Sie erzählt von stundenlangem Chatten und Whatsappen „beim Fleischknedl kochn“. Sie erzählt von immer selben Telefonaten: Scheidung oder Witwer? Gesundheit? Kinder? Enkerln? „Das sind die Sachen, die man am Anfang typischerweise bespricht.“ Fast jeder der rund 40 Männer habe zu Hilde ge- sagt, sie sei seine Traumfrau. Hilde konnte das bei keinem so empfinden.

Doch dann meldet sich Erich. „Das war im vorigen Sommer. Ein ganz ein Lieber. Ich hatte das erste Mal wieder Schmetterlinge im Bauch.“ Sie seufzt. Erich und Hilde treffen sich mehrere Male, es wird ernster. Erich bringt Blumensträuße, macht unzählige Komplimente, sie führen wunderbare Gespräche. Doch Erich ist geplagt von Ängsten und schweren Schicksalsschlägen. So sehr, dass er die Beziehung mit Hilde erst gar nicht entstehen lässt. „Er wollte mich mit all dem nicht belasten, aber für mich ist das sehr schwer, er sagt immer wieder, er schafft es leider nicht.“

Ein Drittel der Senioren wohnt alleine

In den vergangenen Jahren haben sich einige Nischenportale für die so genann- ten „Silver Singles“ etabliert. Die Zielgruppe ist nämlich stark angewachsen: Ein Drittel der über 65-jährigen Österreicher wohnt alleine. Und sie entdecken das Internet für sich. Plattform-Betreiber sagen: Die Senioren nutzen die Online- Partnersuche viel zielgerichteter als die Jüngeren – sie schicken weniger Kon- taktanfragen, schreiben selten parallel, sondern forcieren einen Kontakt nach dem anderen. Die Ansprüche der Frauen seien zudem ausgeprägter als die der Männer.

Wann genau das Seniorenalter beginnt, darüber ist sich unsere Gesellschaft im- mer uneiniger. Auf den Dating-Websites jedenfalls findet man Suchende in den 60ern, 70ern und auch 80ern. Umso älter, desto eher und häufiger werden noch Print-Kontaktanzeigen geschaltet. Genau das hat auch die 81-jährige Maria gemacht.

Maria und Werner

Heute sitzt sie nervös in diesem klas- sischen Wiener Restaurant. Die wei- ßen, kurzen Haare hat sie sich mit Lo- ckenwicklern am Vormittag „einge- dreht“, jetzt hat sie etwas mehr Volu- men. Ihre blauen Augen leuchten wie die einer 20-Jährigen. Es ist mittags, aber sie hat keinen Hunger. Viel zu nervös ist sie. Denn gleich kommt ihr Date. Ein paar Minuten später ist Werner auch schon da. Einen Stock hat er dabei, aber den braucht er zum Glück nicht immer. Er trägt ein beiges Sakko und einen schwarzen Hut. Nach etwa 15 Minuten fragt Werner, ob Ma- ria das „Du-Wort“ gefallen würde. Sie kichert.

Werners Frau hatte vor drei Jahren einen Schlaganfall und ist daraufhin bald verstorben. Auch Marias Mann, der sie über sechs Jahrzehnte begleitet hatte, ist tot. „Es ist schwierig, in dem Alter jemanden zu finden, der diesen Platz erset- zen soll. Aber vielleicht muss man sich da breiter aufstellen und offener sein“, sagt Werner zu Maria. Beide sagen, sie hassen das Alleine sein. Fernschauen sei eine der Hauptbeschäftigungen - leider. Werner spricht sehr langsam und be- dacht. Mit sehr tiefer Stimme stellt er eine Frage nach der anderen. Maria be- antwortet eine nach der anderen. Etwa wie groß die Wohnung ist, wie viele Kin- der und Enkeln vorhanden seien, Hobbies und dann unterhalten sie sich dar- über, wie wichtig ein gutes Heizsystem in der Wohnung ist.

Der Kellner bringt zwei Melange. Maria bietet Werner den Zucker an.

„Nein, danke. Das geht nicht.“

„Diabetes?“

„Nein, nein. Aber die Brösel bleiben dann immer in der Prothese picken und das nervt fürchterlich.“

Völlig verständnisvoll nickt Maria und erzählt von ihren eigenen falschen Zäh- nen. Maria ist davon überzeugt, dass ihre schlechte Zahnqualität etwas mit dem Krieg und den fehlenden Vitaminen zu tun hat. Werner nickt. „Da könntest recht haben.“ Nachdem Maria und Werner weitere Details über ihre Wohnun- gen und ehemaligen Berufe ausgetauscht haben, gibt er sich einen Ruck.

„Ich hoffe, ich gehe jetzt nicht zu weit, aber sind wir uns ehrlich, wir haben nicht viel Zeit zu verlieren. Könntest du dir unter Umständen vorstellen, solltest du mal bei mir zuhause sein und es würde später werden…dass du dann bei mir übernachtest?“ Die Worte waren ihm sehr unangenehm und haben sich aus sei- nem Mund gekämpft. Er rührt in seinem Kaffee um. Maria nimmt ihm die Ner- vosität und Unsicherheit allerdings sofort ab. „Jo kloa!“

Maria erzählt, dass Sie eine große Affinität für Gemmologie hat. Werner kennt das Wort nicht. „Steine, die sammle ich“, sagt Maria. Nächste Woche, erzählt sie, ist die Gemmologie-Messe in Wien. Karl sagt, er begleitet sie gerne.

Foto: KURIER/Gerhard Deutsch

Dünne Luft ab 70

Es sieht so aus, als hätten Senioren nie aussichtsreichere Chancen auf Liebes- glück im Alter gehabt. Nie waren die Menschen so lange gesund. Nie hatten die Älteren so viel Zeit und so viel Geld wie heutzutage. Nie konnten sie sich so frei von Konventionen neu verlieben. So scheint das Alter tatsächlich die Zeit zu sein, in der die Liebe perfekt sein kann. Wäre da nicht der Körper, der seinen gesundheitlichen und sexuellen Zenit überschritten hat. Bei den Männern lässt die Potenz nach, als Frau sexuelle Reize zu generieren wird schwieriger.

Eine schwedische Langzeitstudie befragt seit vier Jahrzehnten 70-Jährige zu ih- rem Intimleben: Ein großer Teil habe demnach öfter Sex und sei zufriedener mit seinem Liebesleben als früher. Aber im Alter von 70 Jahren hat zwischen einem Drittel und der Hälfte auch gar keinen Sex mehr. Die Luft werde dahingehend schon sehr dünn.

Werner und Maria gehen auch mit diesem Thema überraschend offen um. Das wichtigste ist ihnen Nähe und Zärtlichkeit von einem Menschen zu bekommen. Was dann konkret passiere oder noch passieren kann, werde man sehen.

Heinrich, der Ehrliche

Heinrich ist 76 Jahre alt und hat „seine Traude“ über eine Zeitungs-Kontakt- anzeige kennengelernt. Seit acht Mo- naten sind sie ein Paar. Heinrich sagt, im Alter könne man sich genauso ver- lieben wie in jungen Jahren. In man- chen Punkten sei es sogar angeneh- mer. „Reiner, unschuldiger, vielleicht auch ehrlicher.“ Wenn er sich heute verliebt, durchleuchte er die Frau nicht mehr so wie früher: Was denken Freunde und Familie über sie? Hat sie einen guten Job? Bringt sie mich wei- ter? Wird sie die sein, mit der ich eine Familie gründe? Das alles sei nun nicht mehr wichtig. "Heute lerne ich

jemanden kennen, mit dem es einfach schön ist, Zeit zu verbringen. Ich habe keine Termine mehr. Die Familienplanung ist abgeschlossen. Es gibt keinen Druck und keinen Stress mehr." Heinrich sagt, er wisse nicht, ob diese Jahre nun die besten seines Lebens seien, aber mit Sicherheit die sorglosesten.

"Wer sich im Alter noch mal verliebt, hat genau die gleichen Gefühle wie damals mit 17", sagt auch Caroline Erb, eine Psychologin von Parship. Aber es gebe mar- kante Unterschiede zum Flirt- und Beziehungsverhalten der Generation Tinder. „Die Älteren inszenieren sich nicht, Klartext wird gesprochen und nichts schön- geredet“, sagt Erb. Umgangsformen, Höflichkeit, gute Manieren seien viel wich- tiger als den Jungen. „Ein respektvoller Umgang, eine elegante Verabschiedung, solche Dinge.“

Foto: istock/Willowpics/Getty (Symbolbild)

Hilde blickt zurück

Auf der Raststation St. Pölten bestellt Hilde noch ein Glas Wasser. Sie sagt, all die Dates mit den Männern waren meist nett und auch lehrreich. Jeder Single, vor allem im höheren Alter, habe natürlich sein eigenes „Packerl“ zu tragen. Aber eines eint sie alle: Nicht alleine sein zu wollen. Und dennoch brauche es – zumindest für Hilde – das gewisse Gefühl, der Funke müsse überspringen.

Auch wenn Hilde sehr motiviert und positiv wirkt, die lange Zeit des Versuchens geht auch an ihr nicht spurlos vorbei. „Wissen Sie, es ist mir in den vergangenen sieben Jahren kein einziges Mal passiert, dass ich ‚auf normalem Wege‘ einen Mann kennengelernt hätte. In der Therme oder beim Wandern. Nie. Ich glaub, ich bin nicht hässlich und ungut, aber seltsam ist das schon.“

Herren, die nett und „normal“ sind, die würden, so glaubt Hilde, meist schon umgehend im Freundeskreis verkuppelt werden. Auf den Plattformen fände man dann vielleicht daher eher „die problematischeren Charaktere“, sagt Hilde und lacht erneut laut auf.

„Glauben Sie an die große Liebe?“

„Ja. Das habe ich erlebt. Vielleicht kommt es auch deshalb nicht mehr, weil ich es schon hatte.“

„Haben Sie Angst davor, dass es nicht mehr kommt?“

„Ich hab keine Angst, aber Zweifel, dass ich vielleicht doch alleine bleiben werde.“

Hilde wird leiser.

„Ich würde es mir wirklich sehr wünschen, dass der zweite Richtige noch ein- mal kommt.“