„Man hat die Gemeinde komplett im Regen stehen lassen“
Das beliebte Hotel „Haus Semmering“ wurde zur Flüchtlingsunterkunft, der Wintertourismus erlitt einen finanziellen Schaden.
In der steirischen Gemeinde Spital am Semmering werden seit Jahrzehnten Flüchtlinge aufgenommen – doch die Übernahme des größten Hotels im Ort durch den Bund für Flüchtlingsunterbringung stellte die Gemeinde vor neue Herausforderungen, erzählt SP-Bürgermeister Reinhard Reisinger im KURIER-Gespräch.
KURIER: Herr Bürgermeister, wie viele Flüchtlinge leben derzeit in der Gemeinde Spital am Semmering?
Reinhard Reisinger: Aktuell rund 70 Flüchtlinge. 40 bis 50 in den Landesquartieren, 20 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in den Bundesquartieren. Der Höchststand lag bei rund 250 Flüchtlingen.
Was unterscheidet die Landes- von den Bundesquartieren?
Die Landesquartiere bestehen schon seit vielen Jahren – zwei kleine Quartiere mit jeweils maximal 25 Personen. Sie werden in erster Linie über die Caritas betreut. Da hat es nie Probleme gegeben, die Integration hat immer bestens funktioniert. Auch weil Kinder dabei waren, die bei uns den Kindergarten und die Volkschule besuchen.
Und die Bundesquartiere?
Das Bundesquartier ist nur für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und wird durch die „ORS Service GmbH“ betreut (eine Gesellschaft, die auf die Unterbringung und Betreuung von Asylwerbern spezialisiert ist, Anm.). Die ORS kümmert sich um die Betreuungen, um Deutschkurse etc. selbst. Soweit ich das mitbekommen habe, funktioniert das einigermaßen.
Im Herbst 2014 kam es zu einer „aufgeheizten“ Bürgerversammlung. Können Sie uns näher schildern, warum?
Der Bund hat uns sozusagen im September 2014 in einer Nacht- und Nebelaktion das Hotel „Haus Semmering“ weggenommen – und von einem Tag auf den anderen mit Flüchtlingen gefüllt. Es ist uns einfach am Tag davor mitgeteilt worden, dass das Haus für 15 Jahre vom Innenministerium gepachtet worden ist. Es war ein ziemlicher Schock, dass das größte Hotel der Gemeinde auf einmal wegfällt und bis zu 250 Flüchtlinge untergebracht werden - in einem kleinen Ort mit 1500 Einwohnern doch etwas zu viel.
Wie sieht es bei den Landesquartieren aus?
Bei denen gab es nie ein Problem, da sind wir immer im Vorfeld informiert worden und die Unterbringung ist immer in Absprache mit der Gemeinde erfolgt. Was mit dem Bundesquartier passiert ist, das war wirklich schlimm. Man hat die Gemeinde komplett im Regen stehen lassen.
Die Gemeinde lebt auch vom Skigebiet Stuhleck. Gab es Auswirkungen auf den Tourismus?
Aus touristischer Sicht war es natürlich ein finanzieller Schaden, der Tourismusverband und die Liftbetreiber haben es gespürt. Wir hatten jährlich 35.000 Nächtigungen im Hotel „Haus Semmering“ - überwiegend in den Wintermonaten. Das waren ja alles Skigäste, die vornehmlich aus der Slowakei und aus Ungarn gekommen sind.
Wurde dieser finanzielle Ausfall jemals ersetzt?
Überhaupt keine Chance. Der Kontakt mit dem Innenministerium ist ja bis heute eigentlich nicht vorhanden. Man kriegt da nur spärlich irgendwelche Auskünfte.
Hat sich der Kontakt mit dem Wechsel im Innenministerium verbessert?
Ich hatte, seit Wolfgang Sobotka Innenminister ist, keinen Kontakt mehr mit dem Innenministerium. Es hat auch keinen Grund gegeben, muss ich sagen.
Sieht es die Öffentlichkeit in Spital am Semmering – abgesehen von der damaligen Bürgerversammlung – auch so?
In der Öffentlichkeit selbst gibt es keine Probleme, es hat auch keine Einbrüche oder ähnliche Vorfälle gegeben. Alles andere waren Kleinigkeiten im Flüchtlingsquartier. Bei Jugendlichen, die in der Pubertät auf einem Platz zusammen sind, nichts Abnormales.
Woran erinnern Sie sich eigentlich gerne zurück?
Der örtliche Fußballklub hat die Jugendlichen aus Semmering zu einem Freundschaftsspiel eingeladen. Die Flüchtlinge haben eine Mannschaft gestellt, und alle anderen sind auch zum Fußballplatz gekommen, um zuzuschauen. Aus Traiskirchen kam ein Bus mit Jugendlichen, die ebenfalls eine Mannschaft stellten. 500 Menschen waren am Fußballplatz – Einheimische und Flüchtlinge. Es war ein wunderbares Freundschaftsspiel, das ich so schnell wohl nicht vergessen werde.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Was wird passieren, wenn die Zahl der geflüchteten Menschen wieder zunimmt?
Ich befürchte, wenn das der Fall sein sollte, dann wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als das „Haus Semmering“ wieder voll anzufüllen.