"Die Politik der offenenArme ist auch inDeutschland vorbei"
Bundeskanzler Christian Kern erklärt im Interview,was er von einem Burka-Verbot hält und weshalber in der Flüchtlingskrise heute wieder genausohandeln würde wie vor einem Jahr als ÖBB-Chef.
KURIER: Herr Bundeskanzler, vor einem Jahr waren die ÖBB und Sie als damaligerÖBB-Chef in aller Munde: Die Bahn hat täglich tausende Flüchtlinge unbürokratischvon Ungarn nach Deutschland transportiert. Welche Erinnerungen kommen bei Ihnenzuerst an diese Tage auf?
Christian Kern: Als erstes die Bilder der Erleichterung der Menschen, als sie am Bahn-steig angekommen sind. Sie hatten ja alle eine wochenlange Odyssee hinter sich. Undgleichzeitig auch die ungeheure Hilfsbereitschaft der Österreicher. Die Bereitschaft,hier anzupacken, das war schon sehr berührend
Westbahnhof und Hauptbahnhof wurden damals zu Flüchtlingsbetreuungszentrenumfunktioniert. Hatten Sie Angst, dass das irgendwann nicht mehr zu schaffen seinwird?
Diese Angst hatten wir jeden Tag, denn der Ansturm war ungeheuer. Wir haben unsereKapazitäten so gut wie möglich zur Verfügung gestellt, damit die Menschen nicht aufder Straße oder in Parks liegen müssen.
Würden Sie, wenn Sie Bahnchef wären, das heute noch einmal so machen?
Damals war das tatsächlich alternativlos. Die Menschen sind gekommen, ob man dasgut findet oder nicht, und es ging darum, diese logistische Herausforderung mit Ord-nung und Menschlichkeit zu lösen. Das ist auch gelungen. Damals war auch nicht ab-sehbar, welche Ausmaße diese Flüchtlingsbewegung noch nehmen wird. Im Rückblick
"Klar ist: Wir brauchen eine Begrenzung der Zuwanderung,auch damit die Integration jener gelingt, die schon da sind."
kann man sagen: Man hätte früher auf konsequenteGrenzkontrollen setzen können, angesichts der Hun-derttausenden war das aber illusorisch. Wenn man wirk-lich in der Verantwortung steht, sind die Entscheidun-gen niemals schwarz-weiß.
Ex-Telekomchef Boris Nemsic hat dieser Tage in einerServus-TV-Diskussion gesagt: „Kern hat als ÖBB-Chefdas Bestmögliche getan. Aber dass wir nach wie vornicht wissen, was wir mit den Flüchtlingen machen, isteine absolute Katastrophe.“
Ich verstehe die Sorge, teile aber diese Einschätzungnicht. Nemsic übersieht bei seinem Urteil, was hier hun-derte Bürgermeister und viele Privatpersonen täglichleisten. Klar ist: Wir brauchen eine Begrenzung der Zu-wanderung, auch damit die Integration jener gelingt, dieschon da sind.
Ihr Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil kriti-sierte jüngst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel
sehr heftig. Ihr Beharren auf ihrer Aussage in Sachen Flüchtlinge„Wir schaffen das“sei „unverantwortlich“. Zu Recht?
Wir sollten hier weg von Überschriften kommen. Auch in Deutschland ist die Diskussi-on längst weiter. Natürlich ist es wichtig, einen gewissen Optimismus zu haben. Aberdie Politik der offenen Arme ist auch in Deutschland längst vorbei.
Doskozil fordert einen „Rückführungsgipfel“, um Rückführungen und Abschiebun-gen von abgelehnten Asylwerbern zu beschleunigen.
Da sind Europa und in Österreich die zuständigen Regierungsmitglieder gefordert, hierauf mehr Rückführungsabkommen mit sicheren Herkunftsländern von Flüchtlingen zudrängen.
Hat ihr Parteifreund Niessl recht, wenn er sagt, Kurz sollte „weniger reden und mehrumsetzen“?
Interview von Josef Votzi
Ich gehe davon aus, dass auf die Umsetzung nicht vergessen wird. Darauf werden wirgenau achten. Es gibt in der ÖVP Leute, die suchen mehr die Öffentlichkeit – und esgibt welche, die suchen sie weniger. Das ist bei uns nicht viel anders. Am Ende geht esimmer darum, welche Lösungen wir gemeinsam zusammen bringen.
Was halten Sie vom Burka-Verbot, das Minister Kurz will?
Ich bin dafür, dass wir Integrationsaufgaben sehr ernst nehmen. Ein Burka-Verbotsteht auf meiner Prioritätenliste aber ganz weit unten. Das betrifft vielleicht 100 bis 150Frauen. Klar ist aber, dass wir Unterdrückung von Frauen keinesfalls akzeptierenwerden.