Ein Schloss für kriminelle Frauen

In der Haftanstalt

Schwarzau leben Mörderinnen

und Drogensüchtige. HIV-Infizierte

und psychisch Kranke. Großmütter und

Urgroßmütter. Betrügerinnen und junge Mamas

mit ihren kleinen Kindern. Ein Besuch in Österreichs

einzigem Frauengefängnis gibt Einblick in ein besonderes

System, aus dem keine Inhaftierte flüchtet.

Foto: KURIER / Gilbert Novy

In der Haftanstalt Schwarzau leben Mörderinnen und Drogensüchtige. HIV-Infizierte und psychisch Kranke. Großmütter und Urgroßmütter. Be- trügerinnen und junge Mamas mit ihren kleinen Kindern. Ein Besuch in Österreichs einzigem Frauengefängnis gibt Einblick in ein besonderes System, aus dem keine Inhaftierte flüchtet.

N

iemand käme auf den Gedanken, dass sich hinter der freundlichen hellen Fassade dieses ehemaligen kaiserlichen Jagdschlosses ein Gefängnis verbirgt. Freundlich, ge-

radezu einladend präsentiert sich die Justizanstalt Schwarzau im südlichen Niederöster- reich. Aus der Nähe aber zeigen sich die gesicherte Einfahrt und die hohen Zäune und Mauern, die das weitläufige Gelände abgrenzen.

„Die Insassin ist auf dem Weg nach unten“, sagt die weibliche Stimme aus dem Funkgerät. Ein paar Minuten später kommt die junge Frau, begleitet von einer Justizvollzugsbeamtin, den hell verfliesten Gang entlang. Die Scham, die sie empfindet, kann man schon von weiter Entfer- nung sehen und spüren. Ihre Hände zittern. Die Stimme bebt. Blickkontakt fällt ihr schwer. Mit der Zeit wird sie ruhiger und legt etwas Schüchternheit ab.

Magdalena ist 27 Jahre alt. Lange braune Haare, schwarze Hornbrille, große braune Au- gen. Seit sechs Monaten ist sie inhaftiert in Österreichs einziger Frauenhaftanstalt, in der „Schwarzau“. „Davor bin ich acht Monate in Untersuchungshaft in der Josefstadt in Wien gesessen“, erzählt sie. „Wegen Betrug. Ich muss noch bis Oktober 2019 im Gefängnis bleiben.“

Zum Denken habe sie erst angefangen als es zu spät war. Mit dem Eingesperrt sein käme sie eigentlich ganz gut zurecht. Das Schwierigste von allem sei, dass sie ihre Familie so sehr verletzt hat. „Was ich den Menschen angetan habe, die mich lieben.“ Immer wieder atmet Magdalena tief durch, die Finger zupfen nervös am Pulloverkragen. „Als ich das erste Mal in meiner Zelle war, hab’ ich fürchterlich geweint.“

Kontakt hat Magdalena nur noch zu ihrer Großmutter. „Der Rest ist zu enttäuscht von mir. Meine Eltern wollen mich nicht sehen oder hören.“ Ihre Stimme wird wieder leiser, sie blickt nachdenklich zu Boden. Private Zeit verbringt sie nur mit drei anderen Insassinnen. „Wir sind in einem Gefängnis. Dass hier nicht jede ein Engerl ist, ist logisch. Aber man muss das wirklich gut durchdacht für sich selbst entscheiden, mit wem man hier Kontakt haben möchte. Wer tut mir gut und wer nicht?“

So schlimm die ersten Tage hier in der Schwarzau für Magdalena auch waren, so groß war die Überraschung als dann doch vieles anders als befürchtet kam. „Meine Zellenkollegin ist sehr nett. Ich hab außerdem einen guten Job bekommen. Ich bin Kanzleireiniger.“

Magdalena ist im Normalvollzug untergebracht. Um 5.30 Uhr steht sie auf, bis 12.30 Uhr arbeitet sie montags bis freitags. An den Nachmittagen wird die Zelle zugesperrt. „Das ist schon okay, ich brauche da ohnehin meine Ruhe zum Lernen.“ Magdalena macht nämlich im Gefängnis gerade ihre Lehrabschlussprüfung zur Industriekauffrau nach. „Das wird hier wirklich gut gefördert. Ich bekomme die Lernunterlagen, jeden Dienstag findet der not- wendige Kurs statt.“ Zusätzlich besucht sie den Gruppenkurs „Affektkontrolltraining“.

An den Abenden verbringt sie manchmal noch eine Stunde im Freizeitraum mit anderen Insassinnen. Zu Weihnachten hat Magdalena hier Hendl mit Kartoffeln und Gemüse ge- kocht. Die Zutaten dafür hat sie in dem kleinen Gefängnis-Supermarkt gekauft. „Dort gibt es recht viel im Angebot.“ Der Einkaufswert wird den Insassinnen von ihrem Konto abge- zogen. Magdalena bleiben im Monat rund 120 Euro, über die sie frei verfügen kann. Für Le- bensmittel etwa. „Zum Glück habe ich einen Kühlschrank in meiner Zelle.“

Im Großen und Ganzen, so meint Magdalena, könne sie sich hier wohlfühlen, auch wenn sie in einem Gefängnis lebt. Das liege besonders daran, dass die Justizwachebeamtinnen sehr fair und verständnisvoll seien. „Mit den Angestellten habe ich gar keine Probleme, weil ich bei der Standkontrolle auch immer sehr, sehr höflich bin“, sagt Magdalena grin- send. Ein erstes Lachen.

Blonder Pagekopf, die Stirnfransen zum Pony geschnitten. Perlenkette, silberne Ringe an den Fingern. Oberstleutnant Margit Schrammel trägt ihre Uniform mit Stolz und hat immer einen Schmäh auf den Lippen. Sie ist klein und zart. Ihre Stimme tief und rauchig. Schram- mel ist sehr freundlich. Manchmal spricht sie in leichtem Dialekt, dann wieder betont nach der Schrift. Immer aber trägt sie ein höfliches Lächeln im Gesicht. „Wollen Sie gute Kekse? Sind von Insassinnen gebacken, bitte!“

Schrammel bezeichnet sich selbst als eine „richtige Schwarzauerin“. In dem Ort Schwarzau aufzuwachsen, bedeute, mit dem Gefängnis aufzuwachsen. Ihr Vater sei da- mals nicht unbedingt begeistert gewesen von ihrer Jobwahl. Doch das habe sich ge- legt. Heute, fast 30 Jahre später, ist sie stell- vertretende Anstaltsleiterin des Frauen- gefängnisses und Ansprechperson für die Presse. „Wissen Sie, ich mach’ die Arbeit hier wirklich sehr gerne. In keinem Gefängnis würd’ ich lieber sein als hier.“

Sichtlich bewegt führt sie durch die ge- schichtsträchtigen und eindrucksvollen Räumlichkeiten. Die Haftanstalt steht unter Denkmalschutz. Am 21. Oktober 1911 fand hier die Vermählung des späteren Kaisers Karl von Österreich mit Prinzessin Zita von Bourbon-Parma statt. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde das Schloss zu

einem Spital umgewidmet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von der russischen Be- satzungsmacht okkupiert. 1951 verkaufte Elias von Bourbon-Parma das Schloss samt Grundstück an die Republik Österreich.

1957 wurde das Gebäude als „Frauenstrafanstalt Schwarzau“ schließlich in Betrieb genom- men. Von 1993 bis 1999 folgte eine Generalsanierung. Die Haftbedingungen wurden an mo- derne Strafvollzugsstandards angepasst.

Schrammel macht ausufernde Armbewegungen und präsentiert die wunderschönen Holz- böden, Fresken und Gemälde. „Dem Denkmalamt hat das Unsummen gekostet!“ Während Schrammel im Schnellschritt das Gefängnis zeigt, versorgt sie mit den wichtigsten Infor- mationen. „Psychiater und Psychologe: fix im Haus, Sozialarbeiter: fix im Haus, Anstalts- arzt: fix im Haus, Internist und Frauenarzt: kommen wöchentlich. Und unsere besondere Attraktion ist der Streichelzoo mit Ziegen und Hasen.“

Auf dem weitläufigen Gelände des Gefängnisses ist nicht nur der Streichelzoo zu finden, sondern vielmehr die hauseigene Landwirtschaft mit Rindern, Schweinen, Hühnern und Fleischerei. „Wir sind Selbstversorger hier“, sagt Schrammel. Sie streichelt eines der Rinder und wirft nach: „100 freilaufende Hühner! Alles nach Vorschrift, bitte!“.

193 Haftplätze stehen in der Schwarzau insgesamt zur Verfügung. 171 für Frauen und 22 für Männer. Letztere sind hier ausschließlich im gelockerten Vollzug, also mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren, in einem separaten Gebäude untergebracht und in der Landwirtschaft und Fleischerei tätig. „Das können ja die Damen nicht schaffen körperlich“, sagt Schrammel er- klärend. Die Frauen arbeiten beispielsweise in der Gärtnerei oder der Küche, sowie im großen Unternehmerbetrieb.

Derzeit sind 141 Frauen in der Schwarzau inhaftiert. „18 Monate“ bis „lebenslange Haftstra- fe“ lauten die Strafausmaße der Insassinnen. Die strengste Form der Unterbringung ist der geschlossene Normalvollzug. Daneben gibt es unterschiedliche gelockerte Formen bis hin zu den Freigängerinnen, die unter anderem auswärts arbeiten dürfen, längeren Ausgang für Besuche haben und in einem vom Haupttrakt abgelegenen Gebäude untergebracht sind. Die Freigängerinnen-Unterkunft ist über eine Schleuse zu betreten. Kommt eine Frau vom Ausgang zurück, muss sie einen Alkoholtest machen.

Mehr als die Hälfte der begangenen Straftaten sind Blutdelikte wie Totschlag und Mord. Der Rest splittet sich auf Betrug und Diebstahl auf. Einige Sexualdelikte gibt es ebenso. Das klassische Wegschauen der Mutter, wenn das Kind missbraucht wird, fällt hier bei- spielsweise darunter. 40 Prozent der Gefangenen haben psychiatrische Diagnosen.  Die wohl prominentesten Insassinnen der Schwarzau waren die mittlerweile verstorbene „Schwarze Witwe“ Elfriede Blauensteiner sowie die „Eislady“ Estibaliz C., die mittlerweile in den Maßnahmenvollzug nach Asten verlegt wurde.

In der Schwarzau leben Mörderinnen und Spielsüchtige. Mütter und Urgroßmütter. HIV-In- fizierte und schwer psychisch Kranke. Frauen mit Hepatitis C und Drogensüchtige. Hier le- ben Mütter mit Töchtern in Doppelzellen. Hier servieren junge Frauen, die ihren Nachbarn getötet haben, den Beamten das Mittagessen. In der Schwarzau kommt es unter den Insas- sinnen dennoch selten zu Gewalt und Übergriffen. Hier flüchtet keine. „Gefängnisausbrüche und Gewalt sind eher männlich“, sagt Schrammel ohne dabei das Gesicht zu verziehen.

„Frau Grabenweger, du machst weiter!“ Schrammel übergibt die Gefängnisführung an ihre langjährige Kollegin. Dunkelroter Kurzhaarschnitt, blaue Fingernägel, immer einen Schlüs- selbund in der Hand. „Die Frau Grabenweger, müssen Sie wissen, ist die gute Seele der Schwarzau“, sagt Schrammel.

Will man ganz nah an die Insassinnen heran und wissen, was in den Frauen vorgeht, so hef- tet man sich am besten an die Fersen von Frau Grabenweger. Sie ist Freundin und Chefin. Mama und Schwester. Vernunft und Verständ- nis. Ein offenes Ohr und Ratschlag. Strenge und Humor. Einmal pro Woche steht sie den Insassinnen drei Stunden im Rahmen des Be- treuungsdienstes zur Verfügung. „Da können- die Damen ihre Herzen ausschütten bei mir.“

Grabenweger sagt immer ihre Meinung, sie beschönige nichts. „Und das wissen die Damen auch, das schätzen sie sehr.“ Na- türlich habe sie Verständnis für deren Pro- bleme, aber sie heuchle nichts, was sie nicht empfinde. „Klar sag ich zu einer Frau, die ihren Mann umgebracht hat, dass sie das hätte anders lösen sollen“, sagt Grabenweger, als wäre es das normalste der Welt.

Doch es war nicht immer so, dass Graben- weger von den Insassinnen geschätzt und ihr Respekt gezollt wurde. Eigentlich wäre sie selbst vor 27 Jahren nie auf die Idee ge- kommen, diesen Job zu machen. Ihre Mut- ter habe sie zur Aufnahmeprüfung überre- det. „Ich war damals Filialleiterin im Ein- zelhandel“, Grabenweger lacht. Im ersten Jahr im Gefängnis wollte sie jeden Tag auf- hören. „Nach fünf Jahren habe ich ge- merkt, ich mache es richtig.“ Am Anfang

sei sie noch zu jung und vor allem naiv gewesen, was den Umgang mit den Insassinnen betrifft. Doch man lerne.

„Sie werden unsere Kirche lieben“, sagt Grabenweger mit schwungvollem Ton. Sie öffnet die Türe, sofort riecht es nach Weihrauch. Kühl ist es hier. „An den Wänden sehen Sie ori- ginal gemalte Delfter Kacheln, durch sie entsteht eine Tiefenoptik und die Kirche wirkt et- was länger.“ Das Tabernakel sei noch von den Bourbonen erhalten. Ebenso ein Messbecher. Ein Messgewand aus der Kaiserzeit liegt in Seidenpapier eingeschlagen in der untersten Lade der Holzkommode. „Relikte, die tausende Euro wert sind, haben wir hier.“

In der Kirche habe natürlich auch ein Teil der Weihnachtsfeier stattgefunden. Grabenweger hat bei den Vorbereitungen für die Mette geholfen. Das mache sie immer sehr gerne. Im Innenhof der Anstalt wurde am 24. Dezember ebenso gefeiert. Es gab ei- nen Punschstand, freilich ohne Alkohol, kleine selbstkompo- nierte  Musikdarbietungen der Insassinnen, Gedichte wurden vorgetragen. Feuerkörbe haben für stimmungsvolle Beleuch- tung gesorgt. Ein ganz spezielles Highlight hätte es dieses Jahr gegeben, erzählt Grabenweger.„Eine Dame hat ‚Tears in Hea- ven‘ von Eric Clapton gesungen. Da hat es uns allen die Gans‘l- haut aufgestellt.“

Gerade die Weihnachtszeit sei eine besonders schwierige für die Frauen. Viele fühlen sich einsam, vermissen ihre Familien. Das merke man nicht zuletzt an den DVDs, die in der hauseigenen Bibliothek ausgeliehen wurden. „Fast nur Liebesfilme im Dezem- ber“, sagt Grabenweger.

Was Grabenweger auffällt, ist das Anwachsen von Beziehungsdelikten bei älteren, über 70- jährigen Frauen. „Solche Straftaten steigen in der letzten Zeit stark an.“ Wirtschaftliche Notsituationen, Krankheit, Abhängigkeit, jahrelange Demütigungen, sexueller Missbrauch, Quälereien. Irgendwann habe der Ehemann dann das Messer im Rücken oder die Pfanne auf dem Kopf. Was vielleicht lustig klingt, ist purer Ernst. Genau solche Frauen werden vermehrt inhaftiert. „Ein junges Paar mit Problemen, das trennt sich heutzutage und den- noch können beide existieren. Aber bei der älteren Generation ist das noch ganz anders. Und irgendwann kann es dann zu einer Explosion kommen.“ Vor allem würden die Älteren den neuen Zeitgeist mitbekommen und die eigene Situation dadurch vielleicht noch schwerer verkraften.

Der Job sei - wie jeder andere auch - an manchen Tagen eben einfacher und an an- deren härter. Selbstverständlich gebe es jene Momente, wo Grabenweger das Lachen vergehe. „Wissen Sie, was ich dann mache?“ Sie blickt mit großen Augen herüber. „Wenn ich frustriert bin, gehe ich in die Mutter- Kind-Abteilung, dann ist alles wieder halb so wild nach einem lächelnden Baby."

Die Mutter-Kind Abteilung ist eine weitere Besonderheit der JVA Schwarzau. Kinder dürfen maximal bis zur Vollendung des drit- ten Lebensjahres mit ihren Müttern gemein- sam in der Frauenjustizanstalt unterge- bracht sein. Diese Abteilung wird als offener Vollzug geführt. Mütter und Kinder können sich hier frei bewegen, die Zellen sind offen. Es gibt einen Freizeitraum, eine kleine Kü- che, um für die Kinder zu kochen. Viele Pflanzen in den Räumen, bunte Bilder und Basteleien sind an den Wänden zu sehen.

„Die Mütter sind größtenteils selbstverantwortlich für die Pflege und Obsorge ihrer Kin- der“, sagt Grabenweger und streichelt im Vorbeigehen einem kleinen Mädchen über den Kopf. Derzeit leben hier fünf junge Mütter mit fünf Kindern. Zwei wurden  hochschwanger verhaftet. Keine der fünf spricht Deutsch. Grabenweger kommuniziert auf Englisch mit den jungen Frauen.

In den Hafträumen stehen Gitterbetten. Die Wände sind mit Micky Maus-Wandtatoos ver- ziert. Es sind die einzigen Zellen im Haus, die keine TV-Geräte haben. „Kinder brauchen Ruhe“, sagt Grabenweger ernst. Um 7.30 Uhr müssen die Kleinen in den hauseigenen Kin- dergarten gebracht werden, der ganz am Rande des Grundstücks gelegen ist. Auch die Kinder der Justizwachebeamtinnen und Kinder aus der Ortschaft werden dorthin ge- bracht. „Das funktioniert sehr gut“, sagt Grabenweger stolz.

Liebe und Sex sind im Leben eines nicht eingesperrten Menschen schon ein bewegendes Thema. Wie aber gehen inhaftierte Frauen mit dem Entzug von Nähe um? „Der fehlende sexuelle Akt ist weniger Problem als fehlende gemeinsame sonstige Zeit mit einem Partner oder Kindern“, sagt Grabenweger. Für Insassinnen, deren Haftstrafen länger als fünf Jahre andauern, gibt es die Möglichkeit eines Langzeitbesuches, oft gerne auch „Kuschelzelle“ genannt.

Die JVA Schwarzau hat hierfür das ehemalige Gästehaus des Schlosses, das abgelegen von den anderen Trakten und Gebäuden auf dem Grundstück steht, umgebaut. Ein kleines gel- bes Häuschen mit Vorgarten. Rundherum hohe Gitterzäune und Sicherheitstüren. Gesi- chert wie ein Haftraum mit Alarmknopf und Sprechanlage. Im Inneren angelangt, zeigt sich eine kleine Wohnung mit drei Zimmern und der notwendigsten Einrichtung und De- koration. Die Räumlichkeiten werden in der Praxis allerdings weniger rein für den sexuel- len Akt als für gemeinsame Stunden und Nächte mit der Familie genützt. Dennoch sei die Kuschelzelle dahingehend stigmatisiert.

Ein gutes Beispiel für Grabenwegers wichtige Rolle hier in der Anstalt ist Insassin Renate, die wegen Diebstahl verhaftet wurde und ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie ist 56 Jahre alt, Wienerin und war vor zehn Jahren schon einmal inhaftiert in der Schwarzau. Haftrückkehrer gibt es unter den Frauen weniger als bei den Männern. Renate ist eine von ihnen. Sie hasst sich dafür, wie sie selbst sagt. „Ich hab mich so geschämt. Alle hier haben sich an mich erinnert.“ Die neuerliche Inhaftierung wäre ein Albtraum gewesen, psychisch am Ende hätte sie zu Beginn kaum ihre Zelle verlassen. Schlafstörungen und De- pressionen. „Frau Grabenweger hat sich daraufhin sehr viel Zeit für mich genommen. Ist mit

mir stundenlang spazieren gegangen, hat mir zugehört und mit mir geredet.“

Heute sagt Renate, dass sie sich hier si- cher fühlt. Sie sei nicht nur eine Nummer, sondern werde als Mensch wahrgenom- men. Verglichen mit der Untersuchungs- haft in der Josefstadt, in der der Um- gangston sehr rau sei, wäre die Schwar- zau ein Traum. „Es klingt blöd, es ist ein Gefängnis. Aber mir geht es gut hier.“

In drei Monaten hat Renate ihre Haft- strafe abgesessen. Ob sie sich geändert hat? „Ich weiß es nicht. Ich hab schon einmal gesagt, nie wieder. Aber was ich sagen kann, ich denke viel mehr nach und das hat ganz sicher mit dem Aufent- halt hier zu tun.“ Wenn Renate an die Freiheit draußen denkt, habe sie wenig schöne Gefühle. In erster Linie sei es massive Angst. „Die Gesellschaft ist nicht

so tolerant wie die Menschen hier drinnen“, sagt sie besorgt. Sie stehe da ohne Woh- nung, ohne Job und ob sie ihre Spielsucht im Zaum halten kann, das wisse sie auch nicht. Sie bekomme aber Unterstützung von unterschiedlichen sozialen Diensten, wie etwa „Neustart“, und natürlich werde sie auch regelmäßig zur Suchtberatung gehen. „Ich den- ke da sehr viel drüber nach. Ich weiß ja, wohin mich diese Sucht gebracht hat.“

Renate sagt ganz klar: „Ich bin Spielerin. Es sind die Automaten, die mir das G’nack gebro- chen haben. Zum Glück gibt es die in Wien nicht mehr.“ Casino darf Renate keines mehr betreten. „Ich hab mich in jedem selbst sperren lassen.“  So schlimm die Enttäuschung über sich selbst und die Depressionen zu Beginn ihrer Haftzeit vor knapp drei Jahren wa- ren, so groß ist die Angst nun vor der bevorstehenden Entlassung. Das Gefängnis wurde zum Schutzraum für Renate.

Dass sich Insassinnen hier so wohl fühlen, ist Balsam auf der Seele von Anstaltsleiter Briga- dier Gottfried Neuberger. Seit 2007 ist er hier der Chef, davor war er zuständig für männli- che, jugendliche Straftäter in Gerasdorf. Was Renate aber zum Thema Entlassung sagt, sei ein großes Problem unserer Gesellschaft,  nach wie vor. „An dem Punkt sind viele Dinge schlechter als vor der Haft. Der Arbeitsmarkt ist doch schon äußerst schwierig für Men- schen, die noch nicht im Gefängnis waren. Und Frauen, die werden als Ex-Inhaftierte von der Gesellschaft noch stärker stigmatisiert als Männer“, sagt Neuberger kopfschüttelnd.

Natürlich verlasse keine Einzige die Schwarzau ohne Bewährungshilfe, dennoch sei es sehr hart für die Frauen. Neuberger kennt jede seiner Damen beim Namen. Neuberger kennt auch alle Biographien. „Die Geschichten hinter den Schicksalen hier sind teilweise un- glaublich. Was diese Frauen alles erlebt haben.“

Warum die Schwarzau besonders gut funktioniere liege ganz klar an den vielen Frauen hier. Neuberger lacht. „Frauen sind reflektierter. Sie reden leichter über Probleme, sie wenden sich eher an uns. Männer haben eine strenge Hierarchie unter den Insassen. So etwas gibt es hier nicht.“ Vor über acht Jahren habe es einen einzigen Fluchtversuch aus der Gärtnerei über die Mauer gegeben. Aus Liebeskummer.

Seitdem wehe hier die weiße Fahne.  Zwei Drittel der Mitarbeiter in der Schwarzau sind Frauen. „Sie sind verlässlicher, engagierter, gut für das Betriebsklima“, sagt Neuberger. Fakt sei aber auch, dass sich das außerordentlich schöne Gebäude und die grüne Landschaft hier einfach positiv auf die Menschen auswirken.

Besonders stolz ist Neuberger darauf, dass es seit Bestehen der Anstalt keinen einzigen Suizidversuch gegeben hat. Alle psychischen Erkrankungen würden mit den passenden Therapien behandelt. Man wisse immer, wie es den Insassinnen gesundheitlich geht. „Die Schwarzau ist zudem eines der wenigen Gefängnisse, wo Vollbeschäftigung herrscht. Das

heißt, jede kann oder darf arbeiten und einer Tätigkeit nachgehen.“ Nachholbe- darf gebe es noch bei der Berufsausbil- dung: Die schlechte Quote bei den Insas- sinnen sei auf die psychischen Zustände und Suchtkrankheiten zurückzuführen, die es oft nicht zuließen, sich auf Lernen zu konzentrieren.

Neuberger arbeitet seit 1982 im österrei- chischen Justizsystem. „Damals war das neue Strafgesetz der 70er Jahre noch lan- ge nicht in allen Herzen und Köpfen.“ Im neuen Gesetz wurde das erste Mal veran- kert, dass man sich um Inhaftierte küm- mern muss. Betreuungsvollzug vor Ver- wahrvollzug. Resozialisierung und Reha- bilitierung wurden Begrifflichkeiten der Justiz. Davor durften Gefangene nicht sprechen. Wenn, dann nur dienstlich, nichts Privates. Sie trugen Haftkleidung und wurden von der Gesellschaft abgegrenzt.

Aus Neubergers Sicht hat die Justizwache zwei Aufgaben. „Erstens: Sicherheit, Gitter und Waffen  - in der Hoffnung, sie nie zu gebrauchen. Zweitens: die Betreuung der Insassen und aktive Mitarbeit an der Reso- zialisierung und Rehabilitierung.“ Das Sys- tem war die letzten Jahre dahingehend auf

einem immer besseren Weg, findet Neuberger. Die nahe Vergangenheit allerdings bereitet ihm Sorgen. „Ich sehe leider wieder einen Wandel. Ich fürchte, dass sich da wieder etwas rückwärts bewegt gerade. Ich höre oder lese mit Entsetzen Äußerungen von Kollegen, die sich einer vor zehn Jahren nicht getraut hätte zu sagen.“ Deutlicher möchte Neuberger nicht werden.

Im Grunde trage das Ganze doch eine Logik in sich. „Wir sollen das Leben für alle sicherer machen. Wenn wir hier mit den Menschen also vernünftig umgehen, ihre Aggressionen be- arbeiten und ihnen helfen, ihre Probleme zu lösen…nur, wenn wir das machen, werden sie draußen in der Freiheit mündige und verantwortungsvollere Bürger sein.“ Wenn man ihnen im Gefängnis nicht auf Augenhöhe und mit Respekt und Verständnis – so weit möglich – be- gegne, dann sei die Haftstrafe unnötig. „Dann waren sie einfach wieder nur weggesperrt.“

Der frisch angelobte neue Justizminister Josef Moser will auf dem Weg der Resozialisie- rung bleiben. „Dieses Prinzip gilt seit Jahrzehnten in den österreichischen Justizanstalten und ich habe im Rahmen meiner Amtszeit keineswegs vor, davon abzuweichen“, sagt Mo- ser. Es sei unumstößlich, dass man die Verantwortung dafür trage, die Menschen wieder fit für die Gesellschaft zu machen und sie auf das Leben nach der Haft vorbereite. Nur mit einem geregelten Tagesablauf und einer abgeschlossenen Ausbildung könnten die Betrof- fenen wieder in die Gesellschaft integriert werden. Viele Häftlinge hätten in der Justizan- stalt erstmals die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen und auch abzuschließen. Dane- ben sei natürlich die medizinische Betreuung wichtig, insbesondere für Menschen, die mit Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen in eine Justizanstalt kommen. „Die kurze Zeit im Amt hat mir bereits gezeigt, dass die Justizwachebeamten einen hervorragenden Job machen und sich großartig einbringen.“

Moser spielt aber auch darauf an, dass sich in den Gefängnissen wohl etwas verändert habe. „Natürlich sind die Bedingungen in den Justizanstalten anders geworden, darauf müssen wir als Ministerium auch reagieren. Ich sichere den Beamten hierbei meine größte Unterstützung zu und habe auch vor, die Ausrüstung der Beamten zu verbessern, die offe- nen Planstellen so rasch wie möglich zu besetzen und auch andere Erleichterungen und Anpassungen auf gesetzlicher Ebene zu schaffen.“ Moser werde sich im Laufe der ersten Monate ein Bild der einzelnen Justizanstalten machen und diese auch persönlich besu- chen. „Ich bin sicher, dass die Anstalten mit unterschiedlichen Herausforderungen kon- frontiert sind.“

„Ich will nie wieder und ich werde auch nie wieder ins Gefängnis kommen“, sagt die 27- jährige Magdalena am Ende des Gespräches. Die anfängliche Schüchternheit  ist nun voll- ends verflogen. „Drei Jahre Gefängnis für die kleinen Betrugsdelikte, die ich begangen habe, finde ich eine lange Zeit. Zu lange. Aber da muss ich jetzt durch.“

Und weil das Beste oft zum Schluss kommt hat sich Magdalena die folgende Geschichte auch bis zuletzt aufgehoben. Doch bevor sie zu sprechen beginnt, sagt sie: „Bitte verurtei- len Sie mich nicht für das, was ich gleich erzähle.

- „Okay, werde ich nicht.“

- „Ich bin verlobt.“

- „Schon vor der Haft gewesen?“

- „Nein. Ich habe ihn in der Josefstadt in der Untersuchungshaft kennengelernt.“

Bis heute haben die beiden sich nicht berührt. Seit einem Jahr schreiben sie sich täglich Briefe. „Es ist so romantisch, ehrlich und schön“, sagt Magdalena. „Wir verstehen uns so gut auf so vielen Ebenen.“ Magdalenas Verlobter wurde mittlerweile in die JVA Suben ver- legt und studiert dort. „Glauben Sie mir, der ist nicht so blöd wie viele andere.“ Ihre Backen färben sich leicht rot. „Ich bin so verliebt.“

- „Wie lernt man sich denn in der Josefstadt kennen?“

- „Wir hatten gleichzeitig Tischbesuch. Da haben wir uns gesehen.“

Er habe sich dann bei anderen Insassen und Beamten über Magdalena schlau gemacht und ihr Hauspost geschickt. Dann hätte man sich immer wieder beim Essenholen kurz gesehen und ein paar Minuten geredet. „Es hat beim Schreiben schon gefunkt. Aber als wir mitein- ander gesprochen haben war das unglaublich.“ Und dann, kurz bevor Magdalena in die Schwarzau verlegt wurde, „hat er mir am Gang zwischen zwei Türen einen Antrag gemacht und mir das erste Mal gesagt, dass er mich liebt.“ Sie sagt, sie freut sich auf eine Zukunft mit ihm.

- „Was hast du sonst noch für Zukunftspläne?“

- „Ich will hier draußen bleiben, nicht mehr nach Wien zurück. Diese Stadt, dort hat alles angefangen und dort hat es auch aufgehört. Das ist nichts mehr für mich.“

- „Also hier Arbeit suchen und niederlassen?“

- „Ja. Am Anfang werde ich sicher keinen tollen Job bekommen, aber das stört mich nicht.“

- „Gibt es noch etwas, das dir auf dem Herzen liegt?“

- „Ich hab‘ einen Fehler gemacht und für den zahle ich jetzt doppelt und dreifach. Ich möchte den Menschen mitgeben, dass sie immer daran denken sollen, dass manche wirk- lich einen schweren Start ins Leben hatten. Nur, weil man im Gefängnis ist, ist man kein schlechter Mensch.“

Außenansicht der Justizvollzugsanstalt Schwarzau

Foto: KURIER / Jeff Mangione

Die ersten Tage sind die schlimmsten

Alltag hinter Gittern: Die Haftstrafe von Insassin Magdalena (Name geändert) dauert noch bis Oktober 2019.

Schrammel und Grabenweger: Stimme und Seele der Schwarzau

Bilder: Margit Schrammel

Eingang zum Normalvollzug und Schleuse zu den Freigängerinnen und männlichen Häftlingen.

Grafiken: Haft in Österreich

Klar sag ich zu einer Frau, die ihren Mann umgebracht hat, dass sie das hätte anders lösen sollen."

- Bezirksinspektorin Regina Grabenweger

Bilder: Regina Grabenweger

FAKTEN

In Österreich gibt es insgesamt 27 Haftanstalten. Die Schwarzau ist das einzige Gefängnis, in dem fast nur Frauen untergebracht sind.

Von den im Jahr 2012 verurteilten oder aus einer Freiheitsstrafe oder Maßnahmenvollzug entlassenen 30.422 Personen wurden über den Beobachtungszeitraum von vier Jahren 10.137 Personen wiederverurteilt, das entspricht einer Wiederverurteilungs- Quote von 33,3 Prozent (Männer 34,7, Frauen 25,9).

Bilder: Die Mutter-Kind-Abteilung

Das Haus für den Langzeitbesuch, auch "Kuschelzelle" genannt.

Renate, die Rückkehrerin

Foto: JVA Schwarzau

Inhaftierte Frauen werden von der Gesellschaft stärker stigmatisiert als Männer."

- Anstaltsleiter Gottfried Neuberger

Besorgniserregende Wende?

Bilder: Justizvollzugsanstalt Schwarzau

Magdalena hat sich in der U-Haft in der Josefstadt verlobt und ihren Zukünftigen noch niemals berührt.

Text: Yvonne Widler

Fotos: Marlies Plank

Grafik: Christa Breineder

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