"Aus Optimismus ist Ratlosigkeit geworden. An Sami liegt das nicht"

Ein junger Afghane fand Zuflucht bei einer Wiener Familie. Die Quartiergeberin zieht Bilanz.

Seit elf Monaten lebt Sami, ein junger afghanischer Mann, bei uns in Wien. Er ist seit Juni 2015 in Österreich, nach einer Flucht, die wir uns nicht vorstellen können. Sein Vater und Onkel wurden Opfer der Taliban – auch Sami wurde mit dem Tod bedroht, weil er für eine US-Firma in Kunduz arbeitete. Dort erkämpfen sich die Taliban zur Stunde wieder die Kontrolle.

Sami lebt bei uns. Doch leider: Der anfängliche Optimismus und das gute Gefühl, das Richtige zu tun, hat sich inzwischen in Rat- und Hilflosigkeit verwandelt. Und das liegt nicht an dem jungen Mann – er hat seine Aufgaben gemacht: Nach seinem Schulab- schluss in der Wiener Albertus-Magnus-Schule, wo sich Lehrer bewundernswert um Flüchtlinge kümmern, hat Sami weiter Deutschkurse belegt, nunmehr in der Volks- hochschule. Er wird demnächst die "A2+"-Prüfung für Fortgeschrittene ablegen kön- nen. Er ist beim Rugby-Club Donau in die Kampfmannschaft aufgenommen worden und in unser Familienleben integriert. Aber: Sami ist 22 Jahre alt, beherrscht die Grundrechnungsarten, kann Farsi und Turkmenisch und hat bei den Amerikanern Eng- lisch, vor allem aber unser Alphabet gelernt. Darüber hinaus hat er aber keinerlei Bil- dung – oder besser gesagt keine Information über die Welt. Kein Wunder, wenn man in einem Land aufwächst, wo seit 30 Jahren Krieg herrscht.

Ein sorgenfreies Leben?

Was Sami hat, ist eine uns sicher überlegene Fähigkeit des Überlebens, sich in jeder Si- tuation zurechtzufinden. Er ist anpassungsfähig, sein Bemühen, angepasst zu sein, ist für mich sehr berührend. Er findet sich in Wien gut zurecht, fährt mit Freunden gerne auf die Donauinsel, hilft, einen vom Sturm gebrochenen Baum zu zersägen. Er führt ein auf den ersten Blick sorgenfreies Leben, er wird versorgt: Von uns mit Wohnen, Essen

und sozialem Kontakt, von der Caritas mit 200 Euro Grundversorgung – auch wenn Sami überhaupt nicht versteht, warum er Geld fürs Nichtstun bekommt.Und das ist das Unheimliche. Wir haben fünf Kinder großge- zogen. Mit 22 hatten alle eine Vorstellung über ihre Zu- kunft, und das Vertrauen, dass diese Zukunft gelingen kann.Für Sami heißt Zukunft Angst. Vor allem einmal die Angst, im Asylverfahren abgelehnt zu werden. Aber auch Angst, in diesem Land als Feind, als potenzieller Terrorist gesehen zu werden. Wir sehen gemeinsam die Nachrichten im TV, sprechen über die vielen grauenhaf-

Sami (22) ist zum Nichtstun gezwungen.

ten Anschläge und verheimlichen ihm auch nicht die politische Stimmung in Öster- reich. Wir fürchten uns nicht vor ihm, wir fürchten um ihn.

Sein Asyl-Verfahren scheint als Akt einer Bearbeitung zu harren. Was für ihn bedeutet, keine Vorladung oder Information zu bekommen. Angeblich bekommt nur jeder vierte

"Da sitzt ein kräftiger, geschickter, junger Mann, der außer Deutsch lernen nichts zu tun haben darf"

Text von

Sylvia Gaul

der Empfänger, ohne Möglichkeit, selbst zum Lebensunterhalt beitragen zu können. Da sitzt ein kräftiger, gesunder, geschickter junger Mann, der außer Deutsch lernen und im Haushalt helfen, nichts zu tun haben darf. Der zu viel Freizeit hat, die er liebend gerne mit Arbeit ausfüllen würde.

Unerträgliches Warten

Keine Sekunde bereuen wir unseren Entschluss, Sami aufgenommen zu haben. Aber an die Politik haben wir große Wünsche: Beschleunigt sofort die Asylverfahren, das War- ten ist unerträglich. Und bietet Deutschkurse an, die gleich berufsorientiert sind. Zuerst ein Deutschkurs, dann erst eine Berufsausbildung – das kostet zu viel Zeit und Gel- d.Und ermöglicht einen Zugang zum Arbeitsmarkt, die "enormen Kosten" der Flücht- linge würden sich sofort in Win-win-Situationen verwandeln. Dann könnte aus der Scheinidylle für Sami ein richtiges Leben mit Zukunft und Entwicklungsmöglichkeiten werden.

Afghane einen positiven Asylbescheid. Darauf lässt sich keine Zukunft aufbauen. Aber geht es auch ohne Zu- kunft? Für ein um Integration bemühtes Zusammenle- ben mit einem Flüchtling ist das eine sehr belastende Si- tuation. Am gravierendsten erleben Sami, mein Mann und ich die Unterbeschäftigung – den Status als bitten-