Wie Europa zur Festung wurde

Grenzkontrollen, Zäune, Asyl-Obergrenzen: Die EU schottet sich immer mehr ab.

Eigentlich war die Zeit der Zäune in Europa Vergangenheit. Doch was sich noch im Sommer 2015 niemand vorstellen konnte, ist heute Realität: Europa ist wieder von Stacheldraht durchzogen. Überfordert von den Flüchtlingsströmen und unfähig, eine gemeinsame Linie zu finden, haben sich die Länder der EU vom  Prinzip der Solidarität entfernt. Offene Grenzen wurden in nationalen Alleingängen geschlossen – in rasantem Tempo.

Wie konnte das passieren?

Bereits 2014 ist absehbar, dass sich angesichts des Kriegs in Syrien, des Vorrückens des Islamischen Staats und der finanziellen Notlage der Hilfsorganisationen in den Ländern rund um Syrien Hunderttausende Menschen auf den Weg machen würden. Klar ist auch, dass die Dublin-Verordnung nicht mehr zu halten ist. Diese besagt, dass ein Asylsuchender  in dem EU-Land, das er als Erstes betritt,  seinen Antrag stellen muss.  Griechenland und Italien, beide  wirtschaftlich schwer angeschlagen, lassen

Flüchtlinge  einfach weiter ziehen. Als Hauptroute eta- bliert sich die  Balkanroute. Im Frühjahr 2015 gibt es erste Diskussionen über eine Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Ohne Ergebnis. Der ungarische Staatschef Viktor Orban, dessen Land den Endpunkt der Balkanrou- te darstellt und der sich von der EU im Stich gelassen fühlt, lässt ab Juni an der Grenze zu Serbien und Kroati- en Zäune errichten. Internationale Kritik ist die Folge, auch wenn einige EU-Länder die Abriegelung der Gren- zen insgeheim  begrüßen. Bis September 2015 sollen die Zäune fertig sein – die Ankündigung führt zu einem weiteren Run auf die Balkanroute, deren Endpunkt sich später an die Grenze zur Steiermark, nach Spielfeld, ver- lagert. Ende August kommt aus Deutschland die Mel- dung, dass Syrer nicht mehr  in das Erstaufnahmeland zurückgeschickt werden. Am 31. August sagt Angela

Merkel: „Wir schaffen das!“ Wenige Tage zuvor war sie wegen ihrer Flüchtlingspolitik als „Volksverräterin“ bezeichnet worden, was sie schwer getroffen haben soll – genauso  wie die Tragödie von Parndorf.

Der griechische Grenzort Idomeni wird zum Sinnbild für die Hilflosigkeit der  EU

Text von  Irene Thierjung

lung von 120.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien. Die osteuropäischen Staaten, die einfach überstimmt wurden, weigern sich, den Beschluss umzusetzen. Langsam kippt die Stimmung.  Flüchtlinge werden zunehmend abgelehnt, Rechtsparteien verspüren Aufwind. Weitere nationale Alleingänge folgen: Österreich baut ab Oktober im steirischen Spielfeld ein „Türl mit Seitenteilen“ (© Werner

Streit mit Deutschland

Während sich die EU-Staaten immer noch nicht auf eine Verteilung der Flüchtlinge einigen können,  sammeln sich  Tausende Menschen am Budapester Ostbahnhof, dürfen schließlich Richtung Österreich und Deutschland fahren. Als der Bahnhof wieder gesperrt wird, marschie- ren  Tausende  nach Österreich, das sie weiterreisen lässt –  zu Fuß, später mit Bussen und Zügen. Dieses „Durchwinken“  führt zum Streit mit Berlin. Mitte Sep- tember schließt Deutschland seine Grenzen.Kurz darauf einigen sich die EU-Innenminister auf eine Umvertei-

Auf der Balkanroute gibt es seit März kein Weiterkommen.

Faymann), beschließt  im Jänner  eine Obergrenze für Asylanträge und  schließlich im  Februar mit den Balkanländern die Schließung der Balkanroute. Deutschland und Griechenland werden übergangen. Der griechische Ort Idomeni an der Grenze zu Mazedonien, wo sich Tausende Flüchtlinge stauen, wird zum Sinnbild

der Hilflosigkeit  der EU in der Flüchtlingsfrage. Am Ende steht im heurigen März der Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Er  ermöglicht es der EU, abgelehnte Asylwerber wieder in die Türkei zu schicken. Ein Deal, der nach dem Putschversuch in der Türkei Mitte Juli wackelt.

Aktuelle Lage

Die Lage heute: 60.000 Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest, einige Tausend in Serbien und Ungarn. Dazu kommen in Italien 130.000 Bootsflüchtlinge aus Nordafrika. Lediglich 3000 Menschen wurden  „umverteilt“, die Flüchtlingszahlen aus Nordafrika steigen. In Deutschland, Österreich, Frankreich, Schweden, Dänemark und Norwegen gibt es Grenzkontrollen. Österreich behält sich eine Schließung des Brenners vor und plant eine Notverordnung, um Flüchtlinge abweisen zu können.  Ungarn will seinen Zaun zu einem massiven Wall ausbauen. Und in einem EU-Papier heißt es: „Die primäre Verantwortung für das  Management der Außengrenzen verbleibt bei den jeweiligen Mitgliedsstaaten.“

Foto: AP/Darko Vojinovic

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