Der 21-jährige Afghane Mohammad Ebrahim Rahimi, der wegen seinerDichtkunst flüchten musste, wartet in Wien auf sein Asyl. Der Kinder-KURIER traf ihn zum Gespräch über seine Texte.
In der Ferne, zwischen den Grenzen, lassen wir
Irgendwas das unseren Schmerzen tröstet.
In unseren kleinen Zimmern sind Bilderrahmen
Die mit gewöhnlichen Augen nicht erkennbar sind.
Bilder von zu Hause und Familie tanzen an der Decke
Je mehr ich das Gesicht der GELIEBTEN suche, umso mehr wirdes verloren...
Meine Geschichte ist die Geschichte einer Schwalbe
Die nicht wandert, sondern zum Zug gezwungen wird.
Bin ich eines einfachen Lebens in dieser schönen Stadt würdig?
Oder beschert mir Gott noch einen anderen Krieg?
Text von Heinz Wagner
Mohammad Ebrahim Rahimi packt die Sehnsucht nach seinen Lieben in Gedichtzeilen.Aber nicht nur diese. Seine langjährige Auseinandersetzung mit Themen wie Gott,Religion, Satan, Mensch, Geist und nicht zuletzt Regierungen, die offene geistigeAuseinandersetzung unterbinden, verbieten, Menschen dafür einsperren und sogartöten schreibt er ebenfalls poetisch nieder. Auch ihm wurde mit Tötung gedroht unddie Firma in der er arbeitete in Brand gesteckt. In manchmal fast zu schön klingendenZeilen – auf Persisch. Seit zehn Monaten lebt er in Österreich in einer
"Oft schau ich im Internet nachWorten, wenn ich versuche,meine Gedichte zu übersetzen
Flüchtlingsunterkunft in der Donaustädter Polgarstraße– mit rund 80 Mitbewohnern. Der Deutschkurs alleinzeichnet bei weitem nicht für seine Sprachkenntnisseverantwortlich. „Oft schau und such ich im Internetnach Worten, wenn ich versuche, meine Gedichte zuübersetzen. Und noch mehr lerne ich, wenn ich mit
Menschen spreche und sie nach der Bedeutung einzelne Wörter frage“, erzählt derjunge Mann dem Kinder-KURIER. Sein Gedicht Unvaterland reichte er beim Bewerb„Enjoy.Austria“ ein, am Montag, 5. September waren einige Zeilen daraus in der ORF-Sendung "heute mittag" zu sehen und hören. UND: Die vierköpfige Jury hat entschie-den: Mohammad Ebrahim Rahimi hat den Bewerb gewonnen!
„Bei uns im Persischen sagen wir übrigens manchmal Vater- und manchmal Mutter-land. Ich hab das Gedicht für den Bewerb ja auf Persisch geschrieben Und da hab ich es„Sarzamine gheyre Madari“ genannt – Un-Mutterland. Wir verwenden das gleichwer-tig, einmal so, einmal anders mit „Pedari“ (Vater).“
Flucht Nummer 2
Im Alter von zwei Jahren flüchtete seine Familie aus Afghanistan in die iranischeHauptstadt Teheran. „Aber Afghanen werden im Iran oft sehr schlecht behandelt. Auch
in der Klasse im Gymnasium waren nicht vieleMitschüler freundlich zu mir. Von den Lehrern aberhaben mich so ungefähr 90 Prozent schon gutbehandelt.“ Nach der Matura begann er als Buchhalterzu arbeiten, pflegte aber seine schriftstellerischLeidenschaft weiter – und „wusste, diese Gedichte darfich im Iran nicht veröffentlichen, das ist zu gefährlich.Deswegen bin ich geflüchtet. Alleine, weil wir auch nichtgenug Geld hatten, dass Eltern und Geschwistermitkommen könnten. Am Muttertag in diesem Frühjahr
ist übrigens meine Mutter gestorben.“ Jetzt ist Mohammad Ebrahim Rahimi ziemlichgenau zehn Monate in Österreich, studiert an der Technischen Uni Architektur, „aberich überlege, etwas mit Sprachen zu studieren, das liegt mir viel mehr als rechnen“. ImÜbrigen hat der 21-Jährige – wie Tausende andere – nach fast einem Jahr nicht einmalnoch sein erstes Interview bei der Asylbehörde gehabt (!). Was an ein bekanntes persi-sches Sprichwort erinnert, das er im Interview auch zitiert: „waisa ta alaf zire pahatsabs beshe“/warten bis das Gras unter deinen Füßen wächst.
Erst Fantasiegeschichten
Schriftsteller wollte er fast schon immer werden. Im Alter von 10 Jahren beginnt er,Geschichten zu schreiben, „aber zuerst nur für mich in ein Heft. Am Anfang waren esFantasiegeschichten, die ich weitergesponnen habe, wenn ich einen Film im Fernsehenoder ein Video gesehen habe.“ Mit ungefähr 15 oder 16 Jahren nahm er mit einem Text
Im Alter von 10 Jahren beginnt er,Geschichten zu schreiben, "aberzuerst nur für mich in ein Heft."
an einem Schreibbewerb aller Schulen der Hauptstadtteil. „Und ich bin erster geworden, von ganz Teheran. Indiesem Text ging es um ein ganz besonderes Häferl, eineTasse. Wer daraus trinkt, wird unsterblich.“ Ein, zweiJahre später begann Mohammad Ebrahim Rahimi Ge-dichte zu schreiben. „Da brauch ich immer einen Satz,
eine Zeile. Ich hab immer ein Heft bei mir, und wenn mir etwas einfällt, schreibe ich esauf. Von so einer Zeile oder einem Satz aus schreibe ich dann an meinen Gedichtenweiter. Mittlerweile „hab ich das erste Kapitel für mein Buch fertig. Am Ende sollen es72 Gedichte sein und das letzte wird wie eine Art Zusammenfassung die wichtigstenWörter aller vorherigen 71 Gedichte beinhalten.“
Gedichtzyklus
Dieser lyrische Zyklus mit dem Titel „Vierte Dimension“ umfasst viele Gespräche desAutors mit Gott – auf gleicher Ebene. Darin beklagt sich Rahimis Gesprächspartnerunter anderem, dass er so allein ist. Andererseits will er seinen menschlichenGesprächspartner aber sofort wieder auf die Erde verbannen, wenn er ihmwiderspricht. Oder gar vorhält, ihn auch zu belügen, obwohl im Koran steht, dassdiejenigen, die lügen, in die Hölle kommen. „In einigen Gedichten schreibe ich auchüber Frauen- und Menschenrechte , darüber dass uns unsere Regierungen betrügen,aber hauptsächlich geht es um Religion. Ich mag sie nicht. Und alle Themen, die fürmich auch wichtig sind Religion, Satan, Mensch, Geist und nicht zuletzt Regierungenkommen darin vor.“
Zug-Zwang
Im zweiten Kapitel seines Geschichtenbuches, an dem er auch arbeitet, geht es umeinen Burschen, der aus Asien nach Österreich kommt und hier lebt. In diesemZusammenhang ist auch sein Gedicht Un-Vaterland entstanden, in dem sich der Autordamit auseinandersetzt, hier zwar Zuflucht gefunden zu haben, aber ihn nicht nur dieSehnsucht nach seiner Familie plagt, sondern auch das Gefühl, nicht immer und vonallen willkommen geheißen zu werden ...