Von der Willkommenskultur des Sommers 2015 war zum Jahreswechsel nicht mehr viel übrig. Und mit dem Stimmungsumschwung in der Bevölkerung kamen auch die Selbst- zweifel der Medien. Haben wir zu positiv berichtet? Gar etwas verschwiegen? Vor allem in Deutschland war nach der Kölner Silvesternacht allerorts von der Vertrauenskrise der Medien die Rede. Nur 39 Prozent der Bevölkerung hätten dort noch großes bis sehr großes Vertrauen, hieß es damals.
Nayla Fawzi kann sich darüber nur wundern. Gemeinsam mit Carsten Reinemann von der Ludwig-Maximilians-Universität in München verglich die Kommunikationswis- senschaftlerin die Ergebnisse mit Umfragen aus den vergangenen 30 Jahren und siehe da: „Das war noch nie recht viel anders“, sagt Fawzi. In Deutschland – wie auch in Österreich – hat sich das Vertrauen in die Medien traditionell bei rund 40 Prozent ein- gependelt. „Von Krise dürfte also gar keine Rede sein.“ Überhaupt zeigt sich im inter- nationalen Vergleich, dass jene Länder mit der größten Meinungsfreiheit tendenziell auch jene Länder sind, in denen das Vertrauen in das Mediensystem am geringsten ausgeprägt ist. Oder anders gesagt: Das weltweit höchste Vertrauen genießen die Medi- en in Indonesien (80 Prozent) und China (79 Prozent).
Minderheit ist sehr viel leichter, sehr viel lauter
Wieso die Vertrauenskrise der Medien dennoch omnipräsent war? Weil die kleine Min- derheit durch die digitalen Medien heute sehr viel leichter sehr viel lauter sein kann. „Wer wie Journalisten täglich mit Hasspostings konfrontiert ist, hält sie vielleicht ir- gendwann für repräsentativ“, sucht Fawzi nach einer Erklärung. Es sind also die „Lü- genpresse“-Rufe einer kleinen Minderheit, die die Medien vergangenes Jahr an sich selbst zweifeln ließen. Und es ist auch der Erfolg sogenannter „alternativer Medien“ wie unzensuriert.at, die aus dem Misstrauen gegen die Eliten, und dazu zählen sie die „Systemmedien", in der Flüchtlingskrise besonders viel Kapital zu schlagen wussten. Mit unzähligen Berichten von Straftaten von Flüchtlingen, ob wahr oder nicht, wurde unzensuriert.at zum Special-Interest-Medium für Asylskeptiker – die Yacht-Revue der
gungsvorwürfen konfrontiert sind, diese aber die gesamte Berichterstattung über Af- ghanen einnehmen, wird im Sinne der „ganzen Wahrheit“, wie sie von Pegida und Co. eingefordert wird, doch immer nur derselbe Ausschnitt einer Wirklichkeit gezeigt.
Recherche dauert
Auf journalistische Standards wird da oft keine Rücksicht genommen. Klassische Medi- en sind da klar im Nachteil, denn: Recherche dauert. Und viele Poster legen Medien schon die zeitliche Differenz, die zwischen einem Gerücht auf Facebook und einer fer- tig-recherchierten Geschichte liegt, als Unterdrückung einer lauthals eingeforderten
"Journalisten sind auch engagierte Mitbürger"
Wahrheit aus. Es sind vielleicht auch weniger die leicht zu widerlegenden Gerüchte, die die Glaubwürdigkeit der „Mainstream-Medien“ beschädigen. Es sind die Ge- schichten, die sich als wahr herausstellen. So wie in Köln, wo Meldungen von „marodierenden arabischen Männern“ zuerst in den Sozialen Medien kursierten und erst mit Verspätung von den Medien aufgegriffen wer- den. Dass die meisten Berichte erst am 4. Jänner veröf- fentlicht wurden, lag jedoch nie daran, dass die Medien etwas verschweigen wollten. Die Kölner Polizei hatte die Lage zunächst falsch eingeschätzt, viele Anzeigen trafen erst nach und nach ein – das Ausmaß der sexuellen Übergriffe wurde erst spät sichtbar. Ist die Kritik an den Medien also gänzlich unberechtigt?
Wer sich nicht auf sein Bauchgefühl verlassen möchte, ist bei der Beantwortung dieser Frage auf empirische Studien angewiesen. Von denen gibt es nur leider - insbesondere in Österreich - erschreckend wenige. Anfang Oktober könnte sich das ändern. Dann präsen- tiert ein Team der Hamburg Media School (HMS) die Auswertung von 34.000 Pressebei- trägen, die zwischen 2009 und 2015 veröffentlicht wurden.. Erste Erkenntnisse sind schon durchgesickert: So seien insgesamt 82 Prozent aller bisher ausgewerteten Beiträge zur Flüchtlingsthematik positiv konnotiert gewesen, zwölf Prozent rein berichtend, sechs Prozent hätten die Flüchtlingspolitik problematisiert. Reichweitenstarke Medien hätten sich, so Projektleiter Michael Haller in der FAZ, das Motto von Kanzlerin Merkel „Wir schaffen das“ zu eigen gemacht - das hat sich auch an der Tonalität gezeigt: Fünfzehn Prozent der Artikel der Welt Online seien implizit wertend gewesen, bei der Tagesschau waren es zwanzig Prozent, bei Spiegel Online an die vierzig.
Polarisierung ignoriert Teile der Bevölkerung
Auch wenn es derartige Befunde für Österreich nicht gibt -, muss man sich auch bei uns fragen, wie es dazu kommen konnte. Giovanni di Lorenzo fand dazu eine mögliche Antwort: „Journalisten sind auch engagierte Bürger“, schrieb er in einem Kommentar in der Zeit – und vielleicht ist es damit ja schon gesagt: Auch Journalisten können sich von einer (Medien-)Stimmung anstecken lassen. Was jedenfalls stimmt: Lange Zeit schien es in der Flüchtlingskrise nur Hopp oder Dropp zu geben – ganz oder gar nicht. Deutschlands wichtigstes Nachrichtenmagazin, der Spiegel, versah seine Ausgabe Nr. 36 von Ende August mit zwei Covern: „Helles Deutschland“ und „Dunkles Deutschland“. Eine Polarisierung, die all jene ignorierte, die lediglich Zweifel hatten, aber keine
Kampf um die Deutungshoheit
Mit der Flüchtlingskrise wurden die Lügenpresse-Rufe immer lauter. Das Problem: Viele Medienmacher glaubten ihnen.
Vorverurteilungen. Und lange Zeit war auch die Reich- weite von Seiten wie unzensuriert.at mit jener der Yacht-Revue vergleichbar. Mit der Flüchtlingskrise hat sich das geändert. Das Problem dabei: Die Webseite ist kein unabhängiges Medium, hat kein Redakteursstatut wie etwa der KURIER. Als Blog des ehemaligen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf gegründet, ist die Seite seit 2009 die „digitale Vorfeldorganisation der FPÖ“, sagt Andreas Peham von Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands. Die Seite erfüllt damit vor allem eine Funktion. „Es geht um Stimmungsmache, nicht um Objektivität“, sagt Peham. Wenn lediglich 0,01 aller in Österreich lebenden Afghanen mit Vergewalti-
Flüchtlingshetze wollten. Hätte es da nicht ein drittes Cover gebraucht? Natürlich. Bleibt die Frage, wie Medien auf den Vorwurf der „Lügenpresse“ reagieren sollen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. „Jedenfalls nicht, indem man journalistische Standards aufgibt”,
sagt Nayla Fawzi. Vielmehr gehe es darum, den Arbeitsvorgang transparent zu machen. Unbedingte Transparenz also, bei allen Entscheidungen; Mut, Fehler zuzugeben. Ent- scheidungen die eine Geschichte zu machen, und auf eine andere zu verzichten, nach- vollziehbar machen und erklären.
Vielleicht gehört dazu in Zukunft auch, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Journalisten des Bayerischen Rundfunk besuchten Ende vergangenen Jahres rund 30 Schulklassen in ganz Bayern, um ihre Arbeit zu erklären. „Die Schüler glauben natür- lich nicht alle Gerüchte auf Facebook”, sagt Fabian Mader, der das Projekt im BR koor- dinierte. „Aber sie verunsichern sie. Und das merkt man sehr stark.” Medienkompen- tenz, und dabei vor allem die Einordnung von Quellen, gehören für ihn deshalb auch auf den Lehrplan der Schulen – junge Menschen dürften mit dieser Verunsicherung nicht alleine gelassen warden. Im Herbst soll das Projekt in eine zweite Runde gehen. Aufklärung und Transparenz also. Das sollte in Zukunft zur ganzen Wahrheit gehören.